Wien: Kulturelle Aneignung oder pseudojüdische Identität?

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Foto: David Bohmann
11 Aug 19:00 2023 von Redaktion Salzburg Print This Article

Das Fußballstadion ist nicht nur Austragungsort des sportlichen Wettkampfes, es ist auch ein Raum, in dem Positionen, Emotionen und Identitäten verhandelt werden. Die Ausstellung „Superjuden. Jüdische Identität im Fußballstadion“ des Jüdisches Museum Wien, ein Museum der Wien Holding, erzählt nicht nur die jüdische Geschichte von fünf bekannten Fußballvereinen, sondern sie fragt auch nach den oft schwierig zu fassenden, tatsächlichen oder angenommenen jüdischen Identitäten von Fußballfans.

Reaktion auf antisemitische Schmähungen

Ajax Amsterdam-Fans schwingen als „Superjuden“ israelische Fahnen, Anhänger*innen von Tottenham Hotspur nennen sich „Yids“: Was als positive Umdeutung von Beschimpfungen gegnerischer Fußballfans in den 1970er-Jahren begonnen hat, wird heute als kulturelle Aneignung kritisiert. Denn nicht nur ist die überwiegende Mehrheit der Fans nichtjüdisch, sondern die Zeiten haben sich auch geändert.

Mit dem Aufkommen der Hooligan-Bewegung zogen in den frühen 1970er-Jahren Gewalt, aber auch Antisemitismus und Rassismus, in einem bisher nicht erlebten Ausmaß in die europäischen Fußballstadien. Die Lage der Heimspielstätten von Ajax und Tottenham in traditionell jüdischen Vierteln Amsterdams und Londons war ausschlaggebend für gegnerische Fans, die Anhänger*innen dieser Klubs als „Juden“ zu beschimpfen. Als Reaktion darauf deuteten die Fans die Schmähungen positiv um und nannten sich selbst Juden – zunächst Tottenham, in den frühen 1980er-Jahren nach dem englischen Vorbild auch die Ajax-Fans. Seitdem begleiten jüdische Attribute die Fankultur der beiden Klubs.

Kritik an der Inszenierung der Fans

Was lange Zeit als positiv wahrgenommen wurde, wird in den letzten Jahren zunehmend hinterfragt – nicht zuletzt, da die jüdische Inszenierung der Fans auch negative Folgen hat: Durch die demonstrative Zurschaustellung jüdischer Symbole würden nicht nur Stereotype reproduziert und damit selbst judenfeindlich gehandelt, sondern sogar, so die betroffenen Klubs, antisemitische Äußerungen provoziert werden. Und nicht zuletzt wenden sich vermehrt jüdische Fußballfans an die Öffentlichkeit, die sich gegen eine Vereinnahmung jüdischer Symbole von nichtjüdischen Anhänger*innen aussprechen.

Aufklärung statt Verbote

Seit mehreren Jahren versuchen beide Vereine das Problem in den Griff zu bekommen, und weil Verbote nicht funktionieren, setzt man zunehmend auf Aufklärung. So findet man etwa auf der Website von Tottenham Hotspur prominent das Thema „WhY Word“ abgehandelt, wo unter anderem eine breit angelegte Umfrage unter den Fans präsentiert wird, die sich mehrheitlich gegen die weitere Verwendung der Bezeichnung „Yids“ ausspricht. Und auch in Amsterdam wird mit Sensibilisierungsprogrammen gearbeitet. Dennoch: Weder bei Ajax noch bei Tottenham hat das Thema an Aktualität eingebüßt; es wird weiter debattiert, aufgeklärt und verhandelt.

Kulturelle Aneignung als Thema des Debate Club

Kulturelle Aneignung ist kein neues Phänomen – im Fußballstadion erscheint es nur auf den ersten Blick überraschend. Das Stadion ist schließlich ein Ort, an dem Gemeinschaften ebenso geschaffen werden wie Ausschluss stattfindet. Die Aneignung von „Jüdischem“ ist also gleichzeitig eine Abgrenzung zum antisemitischen Gegenüber als es auch eine Gemeinschaft schafft und damit ein Stück Identität – auch wenn es nur eine Fake-Identität ist. Ob man das darf, wem es nutzt und wem es schadet, das diskutieren Jessica Beer und Bini Guttmann beim Debate Club des Jüdischen Museums Wien (13. September, 18.30 Uhr, im Museum Dorotheergasse).

Museumsblog

Auch im Gastbeitrag von Daniel Shaked auf dem Museumsblog des Jüdisches Museum Wien geht es um jüdische Identität und Fußball: „Was ist jüdische Fan-Identität? Wer darf wen Yid nennen? Ab wann ist ein Verein jüdisch und gibt es einen Juden-Verein-Threshold und darf man ihn kommerziell nutzen?“, fragt der Wiener Fotograf. Seine Fotos aus der Ausstellung sind verschwommen – so wie es Identitäten auch sind: sich überlagernd und nicht immer leicht festzumachen.

Über die Ausstellung „Superjuden“

Die Ausstellung „Superjuden. Jüdische Identität im Fußballstadion“ ist von 12. Juli 2023 bis 14. Jänner 2024 im Jüdisches Museum Wien Dorotheergasse, einem Museum der Wien Holding, zu sehen. Zu der von Agnes Meisinger und Barbara Staudinger kuratierten und vom Studio Nardin gestalteten Ausstellung erschien ein zweisprachiger Katalog zum Preis von 23,90 € im Eigenverlag mit interessanten Beiträgen und neuen Einblicken von Michael Brenner, Alexander Juraske, Matthias Marschik und Pavel Brunssen.

Das Jüdisches Museum Wien, Dorotheergasse 11, 1010 Wien, ist von Sonntag bis Freitag 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der zweite Standort, Museum Judenplatz, Judenplatz 8, 1010 Wien, ist von Sonntag bis Donnerstag von 10 bis 18 Uhr, freitags 10 bis 14 Uhr (Winterzeit) bzw. 17 Uhr (Sommerzeit) geöffnet.


Quelle: Stadt Wien



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