Wien: Gedenktafel am Stubenring erinnert an die Opfer der NS-Militärjustiz
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Sozialministerium initiierte Aufarbeitung der Geschichte des Regierungsgebäudes
Eine Gedenktafel für die Opfer der NS-Militärjustiz haben Sozialminister Johannes Rauch, Justizministerin Alma Zadi?, Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig und Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher heute am Regierungsgebäude am Stubenring in Wien enthüllt. „Der Blick auf Terror und Unrecht des Nationalsozialismus zeigt uns, wie wichtig es ist, zu jeder Zeit klar Position zu beziehen: für die Menschenrechte, den Humanismus, für die Demokratie“, betonte Sozialminister Johannes Rauch, der das Projekt des Personenkomitees „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“ initiiert hatte. Bei einem Symposium wurde anschließend die Rolle der Militärjustiz besonders auf dem Gebiet des heutigen Österreich analysiert. ***
Das Regierungsgebäude am Stubenring 1 wurde 1913 als Reichskriegsministerium der Monarchie errichtet. Nach dem „Anschluss“ 1938 wurde hier die Militärjustiz eingerichtet, um den bevorstehenden Krieg vorzubereiten. Bis 1945 war es zentrale Schaltstelle der Wehrmachtsjustiz und damit Teil des nationalsozialistischen Terror- und Unrechtssystems in Österreich.
Heute sind in dem Gebäude das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft, das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft sowie das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsument:innenschutz untergebracht. Vor Ort erinnerte bis dato nichts mehr an die Funktion des Gebäudes während des Nationalsozialismus.
„Die Gedenktafel macht das Unrecht sichtbar, das in diesem Haus - unserem gemeinsamen Arbeitsplatz - begangen worden ist“, betonte Sozialminister Johannes Rauch bei der Enthüllung. „Die Verurteilten waren unschuldige Opfer eines unmenschlichen Regimes, das Rechtsprechung nützte, um Unrecht durchzusetzen. Nur wenn wir die Vergangenheit aktiv aufarbeiten, wenn wir uns unserer Verantwortung stellen, entfalten sich Toleranz, Zivilcourage und Solidarität in unserer Gesellschaft.“
Rauch hatte das Projekt kurz nach seinem Amtsantritt im vergangenen März beauftragt. Er unterstützt das Personenkomitee „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“ schon seit dessen Gründung im Jahr 2002.
„Der Rechtsstaat ist eine tragende Säule unserer Demokratie. Ihn müssen wir schützen und stärken, denn unsere Geschichte erinnert uns schmerzlich daran, wie schnell eine liberale Rechtsordnung in einen autoritären Unrechtsstaat kippen kann. Um diese Erkenntnis im Bewusstsein zu halten ist es wichtig, dass wir Orte wie diesen, an denen dem NS-Regime gedient wurde, als solche sichtbar machen. Hier wurde Recht im Namen des Unrechts gesprochen und unzählige unschuldige Menschen zum Tode verurteilt. Für mich ist klar: Wir können das Unrecht und den Terror des dritten Reiches nicht gutmachen, aber wir müssen alles dafür tun, dass es sich niemals wiederholt“, betont Justizministerin Zadi?.
„Das Regierungsgebäude am Stubenring war eine zentrale Schaltstelle der NS-Militärjustiz und damit ein Teil der dunklen Kapitel in der österreichischen Geschichte. Mit der Gedenktafel wollen wir nicht nur einen Ort der Erinnerung und ein würdiges Gedenken an die Opfer des NS-Regimes schaffen, sondern auch einen Platz, der zur Auseinandersetzung mit unserer Verantwortung einlädt”, so Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher.
„Wir müssen uns der Geschichte stellen und blinde Flecken bei der Aufarbeitung der Gräueltaten des Nationalsozialismus ausleuchten. Dazu gehört auch das Regierungsgebäude am Stubenring. Heute weiß kaum jemand, dass hier die Wehrmachtsjustiz stationiert war. Wir alle sind gefordert, dass sich solche unmenschlichen Katastrophen nie wieder wiederholen. Umso wichtiger sind Gedenktafeln wie diese – sie sind Erinnerung und Mahnung daran, dass wir alle gegen Hass und Hetze einstehen müssen. Danke an Sozialminister Johannes Rauch und das Personenkomitee ‚Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz‘, die sich maßgeblich für dieses Denkmal eigesetzt haben“, so Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig.
NS-Militärjustiz als Dreh-und Angelpunkt militärischer Verfolgung
Beim Symposium im Anschluss an die Enthüllung der Gedenktafel diskutierten internationale Wissenschafter:innen über die nationalsozialistische Verfolgung von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern, aber auch über Handlungsspielräume von Anklägern und Richtern.
Während des Zweiten Weltkriegs gerieten zigtausende Soldaten und Offiziere, aber auch Zivilpersonen in den Fokus der Militärgerichte. Sie wurden der Desertion, der „Wehrkraftzersetzung“, des Kriegsverrats und anderer Delikte verdächtigt. Die Ankläger und Richter der Wehrmacht ordneten Verhöre und Folter an, sprachen Gefängnisstrafen aus. Über 30.000 Mal verhängten sie die Todesstrafe.
Der Prozess zur juristischen Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren und anderen Opfern der NS-Milita?rjustiz nahm erst in den spa?ten 1990er Jahren seinen Anfang. Nach langen Auseinandersetzungen beschloss der österreichische Nationalrat im Herbst 2009 das Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetz. 64 Jahre nach Kriegsende wurden damit alle Urteile der Wehrmachtsjustiz pauschal aufgehoben.
Quelle: OTS