Wien: Wien-Wiki - Jüdische Bethäuser – Versteckte Zentren jüdischen Lebens in Wien

vonRedaktion Salzburg
NOVEMBER 05, 2020

Wien

Neuer Schwerpunkt im Wien-Geschichte-Wiki lässt vergangenen jüdischen Alltag digital erkunden.

Jüdische Bethäuser sind in Österreich seit dem Mittelalter belegt. Überall, wo Jüdinnen und Juden lebten, entstanden Synagogen, Bet- und Lernhäuser. Ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde Wien der zentrale Anziehungspunkt einer starken jüdischen Zuwanderung aus den östlichen Kronländern der Monarchie, vornehmlich aus Ungarn, Galizien und der Bukowina. Die meist sehr frommen, thoratreuen und traditionell eingestellten Juden brachten ihre liturgischen Besonderheiten nach Wien mit und gründeten zahlreiche Bethausvereine. Sie wollten genauso leben und beten wie in ihrer früheren Heimat.

Die ältesten Bethäuser waren im 1. Bezirk beheimatet, die zahlenmäßig größte Dichte an Bethäusern ist in dem seit dem 17. Jahrhundert traditionellen jüdischen Wohnbezirk Leopoldstadt, gefolgt vom 20. Bezirk, Brigittenau, zu verzeichnen. Diese Bethäuser waren im Unterschied zu den großen 26 Synagogen Wiens keine freistehenden Gebäude, sondern waren in Mietwohnungen und Gassenlokalen untergebracht und daher versteckte Zentren jüdischen Lebens.

Bethäuser als Lebensmittelpunkte jüdischer Familien

Die zumeist wohlhabenden Proponenten gründeten einen Verein, mieteten in ihrer unmittelbaren Wohnumgebung eine Wohnung und hatten somit ein jüdisches Bethaus ins Leben gerufen. War der Prozess der Vereinsgründung behördlich abgeschlossen, begann die meist Jahrzehnte andauernde Existenz der Bethäuser, die soziale Lebensmittelpunkte für jüdische Familien waren. Denn die Männer kamen täglich mindestens zweimal zum Gebet zusammen und natürlich mit ihren Frauen und Kindern an Samstagen, dem Ruhetag der Juden, und an jüdischen Feiertagen und Festen. Oft verbrachten sie dort täglich mehrere Stunden beim Lernen des Talmuds.

Im Umfeld des Bethauses fanden auch Wohltätigkeitsveranstaltungen und Sammlungen für soziale Zwecke statt, wobei vor allem Frauen sehr aktiv waren. Die Mitglieder eines Bethauses erhielten Hilfe in allen Lebenslagen, wobei vor allem im Todesfall den Hinterbliebenen Beistand geleistet wurde. Manchen Bethäusern waren Talmud-Thora-Schulen für die Kinder angeschlossen. Auch chassidische „Wunderrabbiner“, die zumeist während des Ersten Weltkrieges aus Galizien nach Wien geflüchtet waren, gründeten ihre „Höfe“ in Form von Bethäusern in Wien und sammelten ihre zahlreichen Anhänger um sich. Sie alle waren aus dem Stadtbild Wiens nicht wegzudenken.

Anschluss und Novemberpogrom 1938

Nahezu alle um 1870 bis 1935 gegründeten 76 Bethausvereine in 13 Bezirken Wiens bestanden bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten. Bereits im März oder April 1938 wurden sie durch wilde Arisierungen von Gestapo, SA und Hitlerjugend brutal geschlossen und ihr Vermögen geraubt. NS-Parteistellen übernahmen die Wohnungen der Bethäuser oder sie wurden an Private weiter vermietet. Besonders tragisch daran war, dass plötzlich der soziale Lebensmittelpunkt fehlte. Das endgültige Ende aller Synagogen und Bethäuser mit Ausnahme des Wiener Stadttempels war mit dem Novemberpogrom am 10. November 1938 besiegelt. Fast alle Gebetsräume wurden verwüstet und angezündet. Keiner der vorher bestehenden Bethausvereine wurde nach 1945 reorganisiert. Die Mitglieder waren entweder ermordet oder vertrieben worden.

Zwtl: Bethäuser in Wien 2020

Auf der offiziellen Website der Israelitischen Kultusgemeinde Wien befinden sich mit Stand September 2020 je nach Definition und Abgrenzung zu den Synagogen im 1., 2. und 20. Bezirk elf Bethäuser in Wohnungen. Die BesucherInnen leben auch hier wieder ein ausgeprägtes religiöses und soziales jüdisches Leben, sprechen Hebräisch oder Jiddisch und halten somit die jüdischen Traditionen hoch.

Karte der jüdischen Bethäuser im Wien Geschichte Wiki

Seit August 2020 sind nun erstmals alle 76 Bethäuser, die bis 1938 bestanden, im Wien Geschichte Wiki enthalten. Hier findet man sowohl eine Auflistung der Bethäuser als auch eine virtuelle Karte. Durch Anklicken der einzelnen Bethäuser erhält man Vereinsgeschichten, soweit bekannt auch Biographisches zu Vereinsfunktionären, Schilderungen von Arisierungen, Vorfällen während des Novemberpogroms und Informationen zur Nutzung der Vereinslokale durch NS-Behörden. Somit ist nach den Synagogen ein weiterer zentraler Bereich des vielfältigen jüdischen religiösen Lebens in Wien erschlossen.

Link: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Jüdisches_Bethaus

Quelle: Stadt Wien

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